Entwicklung deiner Persönlichkeit

Deine ersten Erinnerungen

Ist dir bewusst, dass das früheste Alter, an das du dich heute erinnerst, zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr liegt?

Wirklich klare Erinnerungen kannst du meist sogar erst ab dem fünften oder sechsten Lebensjahr abrufen. Deine Eltern erzählen dir im späteren Leben vielleicht von dem Urlaub am Strand, als du ein Baby warst, oder du siehst Fotos. Doch du erinnerst dich vermutlich nicht im Detail an diesen sonnigen Tag.

Als Neugeborenes beginnst du geistig praktisch bei null:

Du verfügst über ein paar angeborene Verhaltensweisen, ansonsten bist du weitgehend auf deine Wahrnehmung beschränkt. Die Gehirnregionen, die später für das Sprechen und Denken zuständig sind, sind zunächst „unbefleckt“ – und das ist die große Chance für dich als Baby: Du bist offen für alles Neue, Sprachen, Lebensstile und Veränderungen. Ob du in einem industrialisierten Land oder einem Dschungel geboren wirst, spielt zunächst keine Rolle – solange deine Grundbedürfnisse erfüllt werden. Die natürliche Überproduktion von Synapsen in den ersten Lebensjahren ermöglicht das schnelle Erlernen unterschiedlicher Verhaltensweisen, Sprachen, Lebensstile – so bist du rasch anpassungsfähig. Falls du das im Detail nachlesen möchtest, empfehle ich hierzu das Buch „How people learn“ von Bransford, Brown und Cocking, die bereits vor vielen Jahren einige interessante Thesen aufgestellt haben.

Das Gedächtniszentrum liegt in deinem Gehirn, genau genommen im Hippocampus. Und dieser ist vor deinem dritten Lebensjahr noch nicht ausgebildet – und daher kannst du dich heute nicht mehr an Ereignisse vor dem dritten Lebensjahr erinnern. Aber, Achtung: Das heißt nicht, dass Ereignisse, die vor dem dritten Lebensjahr stattfinden, keinen Einfluss auf deine Persönlichkeitsentwicklung nehmen. Im Gegenteil.

Wenn du heute an das erste Ereignis deines Lebens zurückdenkst, was ist das? Vielleicht sogar erst die Einschulung und dein erster Schultag? Vielleicht erinnerst du dich an deine erste Lehrkraft – wie in meinem Fall meine Grundschullehrerin Frau Müller. Bestimmt kann ich mich aufgrund der positiven Erfahrungen besonders gut an sie erinnern.

Warum du dich erinnerst

Wenn du dich heute kaum an deine Kindheit erinnerst, kann es dar an liegen, dass diese nicht besonders schön war.

Das Gehirn bevorzugt in seinem Speicher die positiven Erinnerungen. Und dennoch: Dein emotionales Gedächtnis speichert bereits zuvor Erfahrungen in deinem Unterbewusstsein ab. Die guten und auch die schlechten Ereignisse lagern hier in einer Art Archiv ab. Auf die Dateien in diesem Archiv hast du oftmals keinen direkten Zugriff. Doch diese Ereignisse und Erfahrungen erzeugen lebenslang deine Erwartungshaltung an Menschen, deine Beziehungen und deine Umgebung. Denn das Erfahrene und Gelernte aus den gemachten Erfahrungen setzt du ein, um in der nächsten Situation zu agieren. Wenn du beispielsweise erlebst, dass du Ärger bekommst, wenn du auf Entdeckungstour gehst, so lässt du es dann beim nächsten Mal gleich sein – um Ärger mit deinen Bezugspersonen zu vermeiden.

Es ist wichtig, dass ein Kind nicht zu früh damit konfrontiert wird, die ursprünglichen Gefühle, Neigungen und Bedürfnisse mit vorgelebten Idealen, anerzogenen Gewohnheiten und unverstandenen Pflichten zu unterdrücken. Andernfalls kann daraus ein „entzweiter Mensch“ entstehen, der entgegen seinen eigenen Zielen arbeitet. Dies setzt sich üblicherweise durch das Erwachsenenleben fort. Ein einfaches Beispiel dazu, das du sicher auch kennst: Ich hörte früher von meinem Vater oft „Jetzt weine doch nicht. Das tut mir weh und ich kann das nicht sehen.“ Die Folge war, dass es mir schwerfiel, negative Emotionen vor anderen zulassen zu können – weinen ging natürlich erst recht nicht. Dadurch wirkte ich kalt und vielleicht weniger emphatisch. Genau das Gegenteil war aber der Fall. Ich hatte gelernt, dass ich anderen mit meinem Weinen wehtun würde – und genau das wollte ich natürlich nicht.

Apropos erlerntes Verhalten: Ganz sicher kennst du bereits den Begriff „Machine Learning“. Es ist ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz. Künstliches Wissen wird aus gemachten Erfahrungen generiert. Dort werden auf Basis vorhandener Daten und Algorithmen mithilfe des maschinellen Lernens IT-Systeme in die Lage versetzt, Muster und Regeln zu erkennen, um daraus Rückschlüsse und Lösungen zu entwickeln – wie in meinem Fall: Regel ist, dass Weinen andere verletzt. Lösung ist, dass ich nicht weine.

Und solche Situationen fallen dir ganz sicher auch ein. Denn das Erfahrene und Gelernte aus deinen Erfahrungen setzt du ein, um die nächste Situation zu lösen. Beispiel: Du lernst, dass du bei einem bestimmten Ver halten Liebe bekommst. Lösung ist: Du verhältst dich dementsprechend – ob du es selbst für richtig hältst oder nicht. Aber du erreichst damit das Ziel: Liebe. Deine eigene Entwicklung hängt also stark von deiner Erziehung, Ausbildung, dem sozialen Umfeld oder den Erfahrungen ab.

In deiner Kindheit und Jugend brauchst du Zuwendung, Liebe und Geborgenheit, um deine Persönlichkeit zu entfalten.

Die Weichen dafür werden bereits in den ersten sechs Lebensjahren gestellt. Mangelnde Zuneigung in der Kindheit kann zu Ängstlichkeit im Erwachsenenalter führen – Angst vor falschen Entscheidungen, schlimmen Geschehnissen im Alltag bis hin zu der Angst, eine innige Beziehung zu haben, weil man zurückgewiesen werden oder gar verlassen werden könnte. Alle, die in dieser Zeit an deiner Erziehung mitwirken, haben den größten Einfluss auf deine Persönlichkeitsentwicklung.

Es macht einen Unterschied, wo du groß wirst und welchen Umwelteinflüssen du ausgesetzt bist.

In einem armen oder reichen Land, in Kriegsgebieten oder einem idyllischen Dorf am Berg herrschen andere Voraussetzungen für Kinder, die auch die Eltern oft wenig beeinflussen können. Welches soziale Netz hat deine Familie? Welche Emotion überwiegt innerhalb deines Umfeldes? Ist es Liebe, Angst oder sogar Hass? Bist du mit Geschwistern aufgewachsen? Welche Schule besuchst du? Welche Lehrer unterrichten dich und vermitteln dir das Wissen, das du für dein weiteres Leben benötigst? Wie sieht deine Freizeitgestaltung aus? Bist du in Vereinen aktiv und somit einer Gemeinschaft zugehörig? Welche anderen Hobbys übst du aus? Und natürlich auch: Welche Freunde hast du als Kind? Was du in deiner frühen Kindheit an Ereignissen mit deinen Sinnen in dir aufnimmst, prägt sich ein.

Aus der Botschaft von Personen deines Umfeldes wie zum Beispiel „Du bist so ungeschickt“, kannst du übernehmen: „Ich kann nichts.“ So prägt sich das für dich ein und unterbewusst mindert sich dein Wertgefühl. Zu solchen „unpassenden“ Botschaften fallen dir sicher viele weitere Beispiele aus deinem eigenen Leben ein.

Die Pubertät ist ebenso eine wesentliche Entwicklungsphase in deinem Leben.

Dein Denken, die Gefühlswelt und körperlichen Veränderungen führen zu Stimmungsschwankungen. Plötzlich siehst du dich selbst und andere aus einer anderen Perspektive.

Häufig werden deine Freunde nun zu den engsten Bezugspersonen. Die Familie wird unwichtiger. Du beginnst, dir deine eigene Meinung zu bilden und interessierst dich für ganz andere Dinge. „Oh, Mama! Sowas mache ich nicht mehr“, heißt es nun.

Du willst dir nun deine eigenen Grenzen setzen, bist am Ende aber orientierungslos. Du fühlst dich mit deinem veränderten Körper nicht mehr vertraut. Ein neuer Weg beginnt und du bist gezwungen, diese Verwandlung zu meistern. Und es ist wichtig, dass du dabei von deinem Umfeld positiv unterstützt wirst – indem es dich versteht.

Jugendliche – insbesondere in Zeiten der Veränderung – brauchen Unterstützung, Ansporn und Zuspruch. Manchmal wird „Anspruch“ mit „Ansporn“ verwechselt. Unter dem Druck, eine bestimmte Erwartung zu erfüllen – in der Schule, im Sportverein oder im Freundeskreis – ist es für manche Kinder so belastend, dass Versagensängste aufkommen. Erfüllst du in den Augen anderer die Erwartungen nicht, ist es nicht gut genug. Du versagst auch in deinen Augen und erfüllst die Erwartungen nicht. Der Optimismus und die Zuversicht, die nötig sind, um Dinge zu erreichen, gehen dir verloren, wenn der Anspruch an dich entweder tatsächlich oder gefühlt zu hoch ist. Am Ende kann dies zu einer Schwächung deiner Persönlichkeit führen.

Wie eine Art selbsterfüllende Prophezeiung werden deine Ängste Wirklichkeit.

Was du in der Kindheit erlebst, trägst du dein ganzes Dasein mit dir herum. Es gibt viele Kleinigkeiten, die deine Entwicklung zu einer zuversichtlichen Person mit Selbstvertrauen irritieren. Diese Irritationen führen zu mangelndem Selbstwertgefühl, da du das Gefühl hast, nicht gut genug zu sein. Der empfundene Liebesentzug scheint eine berechtigte Strafe für das Nicht-genug-Sein. Folglich entwickelst du dich sehr unsicher und glaubst nicht an dich selbst und deine Fähigkeiten.

Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Angstzuständen, Depressionen oder Suchterkrankungen haben meist keine Ahnung, woher es kommt. Bis sie das Problem bemerken, dauert es eine Weile. In Therapien wird dann geholfen, die Ursache in der Kindheit zu finden.

Was du aus diesem Onlinekurs mitnimmst

🔎 Herausfinden, was deine Kindheit geprägt hat und was das mit deiner heutigen Einstellung zu Veränderungen zu tun hat.

Überprüfe in der nachfolgenden Lernaufgabe #7, wie es um dein Selbstvertrauen steht.

„Alles, was wir sind, ist das Resultat dessen, was wir gedacht haben." (Buddha)

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